Carsten Bornemann
Geschäftsführer
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Die Energiekonzerne treibt eine gesamteuropäisch formulierte Agenda. Mit dem European Green Deal verpflichten sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zur Klimaneutralität. Im Jahr 2050 soll das Ziel erreicht sein. Als ersten Schritt vereinbarten die Länder, ihre Emissionen bis zum Jahr 2030 um mindestens 55 % gegenüber dem Stand des Jahres 1990 zu senken.
Die Jahreszahl 2030 markiert mittlerweile eine feste Größe in den Strategiepapieren der Unternehmen des Energiesektors. Das Ziel liegt klar voraus: Europas Energieproduktion soll nachhaltig, klimaneutral und autark sein. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Veränderung des Klimas und die Notwendigkeit dieser Veränderung entgegenzusteuern, erkennt längst auch die Wirtschaft. Der Umstieg von fossilen auf regenerative Energiequellen ist gesetzt. Seine epochale Dimension – die energiewirtschaftlichen Grundlagen eines Kontinents für 27 Nationen und rund 450 Millionen Menschen umzukehren – hat es in sich.
Die gewaltige Komplexität der Aufgabe steht einem genau genommen winzigen Zeitfenster gegenüber. Schon diese Konstellation für sich ist herausfordernd. Hinzu kommen gesellschaftspolitische Bedenken zur Akzeptanz von Veränderungen, die unseren gewohnten Lebensstil in Frage stellen.
Gleichzeitig fordert eine junge Generation mit großer Vehemenz genau solche fundamentalen Veränderungen ein. All das besitzt nur auf den ersten Blick keine Relevanz für eine unternehmerische Perspektive. Wenn unter anderem steigende Energiepreise zu europäischen Inflationsraten von annähernd 6 % führen, bedeutet das deutliche Mehrkosten für private Haushalte wie für die Industrie. Der Krieg in der Ukraine und das durch ihn veränderte Verhältnis von Europa und Russland beschleunigt die Entwicklung nicht nur hinsichtlich der Kosten von Energie. Das bislang im Hintergrund der Energiewende stehende Argument der Autarkie erhält die Bedeutung von nationaler Sicherheit. Der Status quo zu Beginn des Jahres 2022 führt zu einer ersten Erkenntnis für den Energiesektor. Der Druck auf die Unternehmen erhöht sich nochmals. Die Politik sieht sich gezwungen, die Energiewende mit deutlich mehr Tempo zu gestalten. Gleichzeitig wird sie es nur begrenzt zulassen, die Kosten dafür an den Markt weiterzureichen.
Das neue Verhältnis von
Europa und Russland
beschleunigt die Entwicklung.
Anzahl der Bruttobeschäftigten in den Bereichen
Biomasse, Windenergie und Solarenergie
Lässt sich die Energiewende
unter diesen neuen
anspruchsvollen Vorzeichen stemmen?
Um diese Frage zu beantworten, sollte man die Rahmenbedingungen verändern. Die deutsche Regulation in Kombination mit der föderalistischen Struktur verkomplizierte in der Vergangenheit Fortschritte bei der Umgestaltung der Energiegewinnung. Die jüngsten Veränderungen des Bundeswirtschaftsministeriums mit dem Sofortprogramm und den Plänen zur Novellierung des Erneuerbaren Energie Gesetzes erfuhren daher eine entsprechend große Zustimmung der Branchenverbände.
Die Justierungen schaffen mehr Handlungsspielraum. Ohne eine Erweiterung der Flexibilität lassen sich zeitgerecht kaum die notwendigen Anlagenkapazitäten realisieren, die die geforderten Leistungssteigerungen für den Anteil an grüner Energie ermöglichen. Zwar deckten die erneuerbaren Energien im Jahr 2020 mit 470 Milliarden Kilowattstunden bereits rund 19 % des deutschen Verbrauchs.
Die Einhaltung der Emissionswerte gelang aber vermutlich nur dank der pandemiebedingten Konjunkturschwäche. Auch aus diesem Blickwinkel heißt daher das Fazit: Der Druck auf die Wirtschaft im Allgemeinen und die Energieerzeuger im Besonderen intensiviert sich.
Der grüne Anteil in der Stromproduktion beträgt über 45 %; Tendenz steigend. Der Fokus auf die Energieerzeugung blendet die Relevanz des Netzwerks aus. Insofern sorgt sich die Bundesnetzagentur hier zu Recht, um einen koordinierten Ausbau. Projektvorhaben wie die Erweiterung deutscher Offshore-Windparks bleiben wirkungslos ohne Nord-Süd-Trasse. Oder, deutlicher formuliert: Es braucht eine neue dezentrale, aber europaweit vernetzte, Infrastruktur für die Erzeugung, Speicherung und Verteilung von grüner Energie.
Die Dimension der Aufgabenstellung fordert die beteiligten Unternehmen bereits jetzt. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau dokumentiert eine Nachfrage an Ingenieuren auf einem Rekordhoch. Weil der Arbeitsmarkt weiterhin durch den Fachkräftemangel geprägt ist, liegt der zentrale Schlüssel in einem flexiblen und intelligenten Management der Arbeitsorganisation und der knappen Personalressourcen. Der Arbeitsmarkt wird zum entscheidenden Vektor für die Dynamik der Energiewende. Die Studierendenzahlen stagnieren. Auch in den kommenden Jahren fehlt den Unternehmen der ingenieurwissenschaftliche Nachwuchs aus den Universitäten und den Fachhochschulen.
Die generelle Überzeugung junger Menschen von der Wichtigkeit einer Veränderung hin zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit führt heute nicht zu einer Orientierung in den dafür relevanten Berufen. Der skizzierte Know-how-Mangel wird noch durch eine weitere Entwicklung forciert. Zukünftig findet eine tiefe Verschmelzung von innovativen Informationstechnologien und klassischen Ingenieurwissenschaften statt. Die ersten Anbieter sammeln bereits Erfahrungen mit Projekten, die auf künstlicher Intelligenz beruhen. Sie erstellen mit ihrer Hilfe Prognosen zum Energieerzeugungspotenzial von Anlagen oder organisieren ein komplexes dynamisches Netzmanagement. Mit dem Anstieg der Bedeutung der Informationstechnologie verschärft sich der Wettbewerb um Talente in der Energiebranche.
Schon heute ist es äußerst anspruchsvoll für ein einzelnes Unternehmen, das gesamte Themen- und Kompetenzspektrum des Energiesektors abzubilden. Zumal hier verstärkt Randbereiche wie zum Beispiel das Regularienmanagement hinzukommen. Wie verhindern Energieerzeuger und Netzwerkausrüster dann, dass fehlende Ressourcen ihr Kerngeschäft und Wachstum bremsen? Fokussierung und Flexibilität. Unternehmen sollten sich auf ihre Stärken und eine möglichst effiziente Nutzung der eigenen Ressourcen konzentrieren. Gleichzeitig sollten sie neue Wege gehen, um die eigenen Ressourcen gezielt zu unterstützen. Das verlangt, Arbeit neu zu denken. Wer Organisationen, Projekte und Menschen zusammenführt, sie zeit-, aufgaben- und ergebnisorientiert ausrichtet, wird sich im Markt besser behaupten.
Jedes zweite Projekt im Bereich der grünen Energien wird die eigenen Teams zukünftig mit externen Kompetenzen verstärken. Anders lassen sich jährliche Leistungssteigerungen im zweistelligen Gigawattbereich kaum realisieren.